Hocheffiziente energetische Sanierung mit Passivhauskomponenten im sozialen Wohnungsbau
25. Januar 2018 / Kongresshalle Gießen
Was sind die Zielsetzungen und Fördermöglichkeiten in Sachen hocheffizienter energetischer Sanierungen mit Passivhauskomponenten im sozialen Wohnungsbau?
Darstellung der Vorgehensweise bei Planung und Umsetzung, Betrachtung der Auswertung des Monitoring umgesetzter Projekte, Entwicklung der Mietpreise nach der energetischen Sanierung, uvm.
Mit anschließender Objektbesichtigung in der Sanierungsphase im bewohnten und unbewohnten Zustand der Wohnbau Gießen GmbH.
Hochhäuser in Gießen zeigen: Energiesparender sozialer Wohnungsbau ist möglich
„Hochwertige energetische Sanierung und sozialer Wohnungsbau schließen sich nicht aus!“ Dies ist die Kernaussage in der Bilanz eines umfangreichen Modernisierungsprojektes, welches die Gießener Wohnbau derzeit zusammen mit dem Deutschen Energieberater-Netzwerk DEN e.V. verwirklicht. Drei Hochhäuser aus den sechziger Jahren werden nach und nach mit Passivhauskomponenten ausgerüstet, um ihren Wärmebedarf auf ein Minimum zu senken. Und das wird für den Investor nicht teurer als eine herkömmliche energetische Sanierung. Für die Mieter bleibt der modernisierte Wohnraum bezahlbar. Ein Vorzeigeprojekt mit Vorbildcharakter, das Wohnbau und DEN nun gemeinsam vorstellten.
Drei Hochhäuser an der Gießener Eichgärtenallee, idyllisch gelegen im Grünen, Baujahr 1965, sanierungsreif. Jedes hat 48 Wohneinheiten, auf 12 Stockwerken. Die Mieterschaft ist bunt gemischt – nicht alle haben Wohnberechtigungsscheine und somit Anspruch auf vergünstigten Mietzins. Annette Bender schon; sie bewohnt seit 53 Jahren eine Dreizimmerwohnung im Haus Nummer 110, das inzwischen vollständig saniert wurde. Sie lobt das heutige komfortable Klima ihrer Wohnung – kein Vergleich zu vorher, als es zog. Auf die Frage nach ihren aktuellen Heizkosten zuckt sie die Schultern: Das wisse sie gar nicht – die Heizung hat sie nicht mehr angemacht seit der Renovierung.
„Genau da wollen wir hin!“, sagt Rainer Pauli, Abteilungsleiter Technische Planung der Wohnbau. Einsparungen von 85% seien ohne weiteres möglich und würden auch erreicht. So kämen Wohnungen, die vor der Sanierung über 10.000 kWh Heizenergie jährlich verbraucht hätten, jetzt mit unter 900 kWh aus. Für die Mieter fielen so nur noch Heizkosten von rund 250 Euro pro Jahr an. Pauli: „Unser Ziel: Wer nichts verbraucht, zahlt auch nichts.“ Bei so geringen Heizkosten schlügen indes die Abrechnungskosten plötzlich zu Buche. Die müsse man bei Altverträgen noch akzeptieren. Bei Neuvermietungen mache man das aber anders: Es gebe eine niedrige Heizkostenflatrate. Gut kalkuliert rechne sich das für Vermieter und Mieter.
Entscheidend bei der Sanierung sei die kluge Kombination der verschiedenen Elemente. Die Außenwände der Hochhäuser werden mit 30 cm Steinwolle gedämmt, wenn es der Brandschutz zulässt, auch mit Polystyrol. Pauli: „Das ist trotz aller Kritik für uns kein Hexenmaterial. Richtig verbaut, ist nichts zu befürchten.“ Balkone würden vom Baukörper getrennt, um Wärmebrücken zu vermeiden. An ihre Stelle kämen vorgebaute Wintergärten. In den Wohnungen sorgten Lüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung für ein angenehmes Raumklima und frische Luft. Schimmel gebe es nicht. Heizkörper benötige man eigentlich nicht mehr, sagt Pauli. Man lasse pro Wohnung aber einen drin – „aus psychologischen Gründen…“
Sanierungen mit Vorbildcharakter – seit 2014 werden die Hochhäuser der Wohnbau an der Eichgärtenallee saniert. Das Haus Nummer 110 (links) ist jetzt fertiggestellt.
Hinderk Hillebrands, Energieberater und Vorsitzender des Deutschen Energieberater-Netzwerks DEN e.V., betreut das Projekt. Entscheidend sei die Qualitätssicherung: „Hier müssen alle Gewerke aufeinander abgestimmt und durchgerecht sein, sonst funktioniert es nicht optimal. Auch Kleinigkeiten sind ausgesprochen wichtig und für den Gesamterfolg entscheidend. Etwa bei der Lüftungsanlage die Durchführung der Rohrleitungen durch die Außenwand. Die müssen luftdicht und wärmebrückenminimiert sein.“
Hillebrands versteht die Sanierung großer Bestandsimmobilien wie der drei Hochhäuser in Gießen als einen wichtigen und beispielhaften Beitrag zum Klimaschutz: „Es ist unverständlich, dass nicht mehr Wohnungsbauunternehmen ambitioniert sanieren und Passivhauskomponenten verbauen. Wir haben bei diesen Häusern in Gießen eine Fernwärmeversorgung und kommen mit der hochwertigen Sanierung auf unter 25 kWh Heizwärmebedarf pro Jahr und Quadratmeter. Mit den zur Verfügung stehenden Fördermitteln von Bund und Ländern ist das für die Investoren im Vergleich zu einem KfW-55-Standard finanziell vergleichbar.“
Um auch andere Unternehmen zu informieren und zu motivieren, werde das DEN über seine Akademie zusammen mit der Wohnbau-Gießen Schulungen veranstalten und das Wissen um eine optimale Sanierung weitertragen. Hillebrands: „Es braucht mutige, entscheidungsfreudige und kreative Menschen, um etwas zu bewegen.“ Vor allem aber müsse man die Mieter in solchen Objekten überzeugen und mitnehmen, dass energetische Sanierungen sinnvoll sind.
Genau das mache die Wohnbau Gießen mit ihren Mieterräten, erläutert Sabine Leidich, Assistentin der Geschäftsleitung. Es gebe Bezirksmieterräte in den immerhin über 7100 Wohneinheiten der Gesellschaft, in denen rund 15.000 Mieter leben. Diese würden zusammengefasst in einem sogenannten Unternehmensmieterrat. Nur wenn dieser einem Projekt zustimme, werde es dem Aufsichtsrat der Wohnbau zur Entscheidung vorgelegt. Das sei auch im Falle der drei Hochhäuser an der Eichgärtenallee so gewesen. Jedes von ihnen sei dem Unternehmen immerhin Investitionen von rund 3,2 Mio. Euro wert.
„Es geht einerseits um Energiesparen, Erhöhung des Wohnkomforts und letztlich um Klimaschutz. Es geht aber auch um die Sicherung des Unternehmenskapitals durch die Sanierung unserer Immobilien“, so Leidich. Dabei bleibe die Wohnbau – eine hundertprozentige Tochter der Stadt Gießen – ihrem sozialen Auftrag verpflichtet: „Wir verzichten auf eine Maximierung des Gewinns. Bei der Sanierung arbeiten wir mit guten, aber günstigen Materialien und bauen z. B. keine Luxusfliesen in die Bäder ein. So schaffen wir die Balance zwischen nachhaltiger Bestandsentwicklung und Sozialverträglichkeit.“ Das Wohnbau-Konzept: etwa ein Drittel der Gebäude werde unter sozialen Aspekten vermietet.
Für das bereits sanierte Haus Eichgärtenallee 110 wurde nach einer Durchschnittsmiete von 4,29 €/qm eine mögliche Erhöhung von 3,18 €/qm errechnet. Die werde allerdings nur Neumietern berechnet. Bestandsmieter wie Annette Bender müssten nur 6 €/qm in ihrer energiesparenden Wohnung zahlen.
Bürgermeisterin Gerda Weigel-Greilich lobte denn auch das städtische Tochterunternehmen: Die Wohnbau sei Impulsgeber und könne anderen als gutes Beispiel dienen. Mit ihren über 7000 Mietwohnungen sei sie eine der größten Wohnungsbaugesellschaften in Hessen, und das in einer der am stärksten wachsenden Städte des Landes. Sie meistere die Herausforderung vorbildlich, energetische Sanierungen und sozialen Wohnungsbau zu verbinden.
Umso mehr fragen sich die Mitarbeiter der Wohnungsbaugesellschaft wie auch des DEN, warum nicht viel mehr vergleichbare Unternehmen hochwertige Sanierungen im sozialen Wohnungsbau angehen. Hillebrands: „Hier schlummert energie- und klimapolitisch ein enormes Potential.“
© DEN e.V. – Bericht und Fotos von Joachim Mahrholdt
Vorträge und Präsentationen:
Hessisches Förderprogramm zur Sanierung mit Passivhaus-komponenten im sozialen Wohnungsbau
Margrit Schaede, Hessisches Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung
Energetische Sanierung mit Passivhauskomponenten (Am Beispiel der Objekte Eichgärtenallee 106 bis 110)
Dipl.-Ing. (FH) Hinderk Hillebrands, DEN GmbH & Co. KG